Ihr Zahnarzt hat leider keine Zeit für Sie – er sitzt am Schreibtisch.
25 Prozent der Behandlungszeit geht Patienten durch überflüssige Bürokratie und eine unausgereifte Digitalisierung verloren. Unter dem Motto „Zähne zeigen gegen Bürokratie“ gehen Zahnärzte am 25. September an 16 Orten in Nordrhein auf die Straße, um auf die Folgen für die Patientinnen und Patienten aufmerksam zu machen.
Die Fotos sind urheberrechtlich geschützt.
Impressionen von Protestaktionen / Veranstaltungen
Der Arbeitsplatz von Zahnärztinnen und Zahnärzten verlagert sich zunehmend vom Behandlungsstuhl an den Schreibtisch. 962 Verordnungen und Regeln betreffen den Arbeitsalltag von Zahnmedizinern. Die damit verbundenen Dokumentationspflichten und Verwaltungsaufgaben fressen pro Woche 24 Arbeitsstunden, hochgerechnet auf ein Jahr sind es 51 Tage.
Drei irrsinnige Beispiele aus der Praxis
Darüber sprechen wir konkret:
Desinfektion
Um einen einfachen Mundspiegel zu reinigen und zu desinfizieren, müssen 7 Verordnungen, 11 DIN-Normen, 14 Arbeitsanweisungen und 9 Dokumentationsvorgaben beachtet werden. Und das ist nur eines von vielen Instrumenten.
Sicherheit
Bringt ein Mitarbeitender ein Deo mit, muss dafür vom Praxisinhaber extra ein Sicherheitsdatenblatt ausgefüllt werden.
Infrastruktur
Der unnötige, aber gesetzlich vorgeschriebene Tausch von Praxishardware (Konnektoren) kostete die gesetzliche Krankenversicherung einen hohen mehrstelligen Millionenbetrag. Geld, das deutlich besser in der Versorgung der Patientinnen und Patienten aufgehoben wäre.
Berichte der Aktionstage
Fakten zur Bürokratiebelastung
962 Verordnungen
und Regeln betreffen das zahnärztliche Qualitätsmanagement
24 Stunden
pro Woche und 51 Tage pro Jahr verbringen alle Praxismitarbeitenden aufaddiert mit Bürokratie. (1)
94 %
der Zahnärztinnen und Zahnärzte berichten, dass die Patientenversorgung durch die Bürokratielast und eine praxisuntaugliche Digitalisierung eingeschränkt wird. (2)
99 %
fordern einen sofortigen Bürokratieabbau sowie eine stabile, ausreichend getestete und störungsfreie Telematikinfrastruktur. (2)
63 %
der angestellten Zahnärztinnen und Zahnärzte sehen Bürokratie als Hürde zur Niederlassung. (3)
Bürokratieabbau konkret
10 Forderungen der Zahnärzteschaft
- Was nicht wissenschaftlich begründet werden kann, gehört abgeschafft! Jede neue und bereits gültige Verordnung, muss nach diesem einfachen Credo überprüft werden, damit Praxen endlich wieder mehr Zeit für ihre Patientinnen und Patienten haben.
- Wir fordern ausgereifte technische Anwendungen, die sinnstiftend in der Patientenversorgung eingesetzt werden können und einen echten Mehrwert bieten.
Status Quo
Gesetzliche und untergesetzliche Normen und Vorgaben bedeuten für Zahnärztinnen und Zahnärzte sowie die Praxismitarbeitenden eine inzwischen nicht mehr überschaubare Menge an Informations- und Dokumentationspflichten.
Forderung
Die Zahnärztekammer Nordrhein und die Kassenzahnärztliche Vereinigung Nordrhein fordern eine konsequente Einführung der one-in-two-out-Regelung.
Begründung
Die benötigte Zeit für Dokumentations- und Informationspflichten fehlt zur Behandlung der Patienten, hält gründungswillige Zahnärztinnen und Zahnärzte von der Niederlassung ab und verschärft den sich zuspitzenden Fachkräftemangel zusätzlich.
Status quo
Fortlaufend werden immer mehr Informations-, Dokumentations- und Verwaltungsvorschriften eingeführt, mit dem Ziel die Patientensicherheit zu erhöhen.
Dabei sind diese schnell eingeführt, ohne dass zuvor eine Prüfung erfolgt, ob die Patientensicherheit tatsächlich gefährdet und beabsichtigte Maßnahmen und Vorgaben wirklich geeignet sind, diese zu erhöhen. Einmal eingeführte Dokumentations-, Informations- und Verwaltungsvorschriften bestehen in der Regel dauerhaft fort, ohne dass eine Überprüfung und Evaluation stattfinden, ob diese signifikant und nachhaltig zur Erhöhung der Patientensicherheit beitragen.
Forderung
Eine Einführung neuer verbindlicher Dokumentations-, Informations- und Verwaltungsvorschriften durch den Gesetz- und Ordnungsgeber hat nur nach positiver Risikoanalyse und erfolgreicher Nutzenbewertung für die Patientensicherheit zu erfolgen. Damit dürfen neue Vorgaben nur dann eingeführt werden, wenn die Risikoanalyse eine wissenschaftlich evidenzbasierte Patientengefährdung attestiert und die Nutzenbewertung einer neu einzuführenden Vorschrift einen beträchtlichen Zusatznutzen für die Patientensicherheit belegt.
Alle bestehenden Informations-, Dokumentations- und Verwaltungsvorschriften gehören auf den Prüfstand. Für sie hat eine Risikoanalyse und Nutzenbewertung zu erfolgen. Fällt die Risikoanalyse negativ aus oder ist ein erheblicher Zusatznutzen bestehenden Vorschriften nicht belegt, sind die Informations-, Dokumentations- und Verwaltungsvorschriften abzuschaffen.
Die Kosten hierfür sind jeweils durch den Gesetzgeber zu tragen.
Begründung
Durch eine konsequente Überprüfung bestehender und neuer Dokumentations-, Informations- und Verwaltungsvorschriften erfolgt eine Reduzierung der Vorgaben auf relevante, die Patientensicherheit tatsächlich erhöhende Maßnahmen.
Status quo
Derzeit gibt es drei unterschiedliche Begehungen:
- Begehung nach Infektionsschutzgesetz (IfSG): Gesundheitsämter der Kreise und kreisfreien Städte
- Begehung nach Medizinproduktegesetz (MPDG): in NRW Bezirksregierungen Dezernat 24, Sachverständige der Kammern
- Begehung nach Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG), Strahlenschutzgesetz (StrlSchG): in NRW Bezirksregierung Dezernat 55
Die einzelnen Begehungen belasten die Abläufe in den Praxen massiv, meistens schließen die Praxisbetreiber die Praxen an diesen Tagen. Teilweise gibt es inhaltliche Überschneidungen bei den unterschiedlichen Begehungen.
Durch unterschiedliche Interpretationen der Vorgaben durch die einzelnen Behörden, die unterschiedlichen Ausbildungen des Fachpersonals und dem immer vorhandenen Ermessensspielraum kommt es oftmals zu unterschiedlichen Bewertungen derselben Abläufe in den Praxen.
Durch die Verortung in unterschiedlichen Behörden bzw. Dezernaten gibt es darüber hinaus keinerlei Koordination der Begehungen.
Forderung
Die Zahnärztekammer Nordrhein fordert eine Zusammenlegung und damit Reduzierung der Anzahl der Begehungen pro Praxis, indem die anlassunabhängigen Begehungen nach MPDG und ASiG sowie StrlSchG durch die Sachverständigen der Zahnärztekammer Nordrhein durchgeführt werden.
Begründung
Die Zusammenlegung der anlassunabhängigen Begehungen führt durch eine transparente Vereinheitlichung der Vorgaben zu einem Abbau des bürokratischen Aufwands. Die Durchführung der anlassunabhängigen Begehungen nach MPDG und Schulungen zum IfSG durch die Sachverständigen der Zahnärztekammer Nordrhein haben sich bewährt. Durch zusätzliche gezielte Schulungen und Informationen zu MPDG und IfSG der Zahnarztpraxen konnte eine Verbesserung der Situation in den Zahnarztpraxen erzielt werden. Durch einheitliche und transparente Vorgaben wurden Unsicherheiten abgebaut, Planungssicherheit gegeben und damit bürokratische Belastungen abgebaut.
Status quo
Der Betrieb einer Röntgeneinrichtung muss vier Wochen vor der Inbetriebnahme bei der zuständigen Behörde angezeigt werden.
Forderung
Den Betrieb einer Röntgeneinrichtung unverzüglich nach der Anzeige ermöglichen.
Begründung
Die von §19 StrlSchG erfassten Röntgeneinrichtungen in Praxen sind aufgrund der Bauartzulassung ihres Strahlers bzw. ihrer Herstellung und ihres In-Verkehr-Bringens unter dem Anwendungsbereich des Medizinproduktegesetzes (MPDG) zu Recht von einer Genehmigung befreit.
Die Anzeige bei der zuständigen Behörde erfolgt erst nach einer erfolgreichen Abnahme- und Sachverständigenprüfung. Eine Gefährdung von Patientinnen und Patienten sowie Anwendern durch den Betrieb der Röntgenanlage ist dadurch sicher ausgeschlossen. Für den Betreiber führt die Verzögerung dagegen zu einer zusätzlichen Belastung, da aufgrund fehlender Diagnosemöglichkeiten notwendige Therapien nicht durchgeführt werden können. Dies gilt insbesondere für Zahnarztpraxen, bei denen es sich in der Regel um den Ersatz defekter Geräte und nicht die Inbetriebnahme von zusätzlichen Röntgeneinrichtungen handelt.
Status quo
Röntgenbilder und die Aufzeichnungen von Röntgenuntersuchungen einer Person, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sind bis zur Vollendung des 28. Lebensjahres dieser Person aufzubewahren.
Forderung
Die Aufbewahrungsfrist für Aufzeichnungen von Röntgenuntersuchungen bei Personen unter 18 Jahren auf die sonst geltenden 10 Jahre beschränken.
Begründung
Die zahnärztliche Röntgendiagnostik im Kindes- und Jugendalter bildet ein Wechselgebiss ab. Nach dem Zahnwechsel ist die diagnostische Aussagekraft der Aufnahmen für den Status quo stark limitiert. Die Vereinheitlichung der Aufbewahrungsfristen gefährdet nicht die Sicherheit minderjähriger Patientinnen und Patienten, sondern führt ausschließlich zu einem Bürokratieabbau.
Status quo
Ein "Informationsschreiben" der zuständigen obersten Landesbehörden, des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und des Robert Koch-Instituts (RKI) verunsichert die Zahnärztinnen und Zahnärzte. Demnach sei die Validierung der Wischdesinfektion aufgrund des nicht überprüfbaren Anpressdruckes beim Wischen nicht möglich. Deshalb sei der Einsatz dieses Verfahrens für die abschließende Aufbereitung semikritischer Medizinprodukte unzulässig.
Forderung
Die Wischdesinfektion ist als valides Verfahren für die abschließende Aufbereitung semikritischer Medizinprodukte anzuerkennen.
Begründung
Die Wischdesinfektion von Medizinprodukten wurde und wird in der Zahnmedizin seit Jahrzehnten milliardenfach angewendet. Es liegen keinerlei Daten vor, dass es aufgrund der Anwendung des Verfahrens zu Infektionskrankheiten gekommen ist. Eine Untersagung gefährdet die zahnärztliche Versorgung in Deutschland akut. Im Bereich der kabelgebundenen Röntgensensoren würde dies zum Beispiel die Wiedereinführung des strahlenreicheren analogen Röntgens bedeuten. Dies ist im Sinne des Patientenschutzes entschieden abzulehnen ist.
Status quo
Praxen erhalten von Krankenkassen Honorarrückforderungen, wenn kleinste Fehler im komplizierten Abrechnungssystem vermutet werden. Viele Forderungen stellen sich als unbegründet heraus, der Nachweis kostet die Praxen aber Arbeitszeit in erheblichem Ausmaß.
Forderung
Beschränkung von Honorarrückforderungen auf ein sinnvolles Maß, zum Beispiel durch die Einführung von Bagatellgrenzen.
Begründung
Die Rückforderungsbeträge sind oft um ein Vielfaches niedriger als der durch das Verfahren verursachte bürokratische Aufwand in Praxen sowie in den Fachabteilungen von KZV und Krankenkassen.
Status quo
Die Formulierung in Artikel 52 Absatz 4 der MDR kann dahingehend interpretiert werden, dass Zahnersatz den implantierbaren Produkten gemäß der Verordnung zuzurechnen ist.
Forderung
Klarstellung, dass auch nach neuer EU-Medizinprodukteverordnung Zahnersatz kein implantierbares Produkt darstellt. Begrenzung der Aufbewahrungsfrist der Konformitätserklärung für Zahnersatz und kieferorthopädische Geräte auf 10 Jahre.
Begründung
Zahntechnische Werkstücke wie Kronen und Brücken werden nicht chirurgisch invasiv in den Körper eingebracht. Siehe auch Klassifizierung Regel 5 MDR. Das von ihnen ausgehende Risiko ist nicht mit tatsächlichen Implantaten vergleichbar.
Status quo
Beginn, Ende und Dauer der Arbeitszeit muss von jedem Arbeitnehmer und jeder Arbeitnehmerin am Tag der Arbeitsleistung elektronisch erfasst werden.
Forderung
Keine Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeit.
Begründung
Vor allem für kleinere Praxen ist die Benennung nicht angemessen, da sie in der Regel zusätzliche Kosten verursacht.
Status quo
Die Einführung neuer technischer Anwendungen wird ohne entsprechende Beteiligung und Testung durch die Anwender mit gesetzlichen Fristen festgeschrieben. In Folge werden unausgereifte Anwendungen in den Regelbetrieb überführt, die zu Ausfällen in den Praxen und erheblichem Mehraufwand führen.
Forderung
Einführung ausschließlich technisch ausgereifter Anwendungen, die einen echten Mehrwert bieten und keinen zusätzlichen bürokratischen Aufwand erzeugen. Dazu sind die Anwender, d.h. Zahnarztpraxen frühzeitig in die Testungen zu integrieren. Eine Einführung in den Regelbetrieb darf erst nach ausreichender Erprobung in Modellregionen und möglichen notwendigen technischen Anpassung erfolgen. Aufhebung der Sanktionen, wenn es industrieseitig zu Verzögerungen kommt. Praxen dürfen nicht für Fehler haften, die sie nicht verantworten.
Begründung
Nur ausgereifte, praxistaugliche Anwendungen bieten einen Mehrwert, entlasten damit die Zahnarztpraxen und erleichtern den Praxisbetrieb.
Informationen zum Download
Hier finden Sie unser Informationsmaterial, das wir an unsere Patienten verteilen, sowie Dokumente für Presse und Politik.
Informationsflyer742 KB
Forderungskatalog106 KB
Postkarte483 KB
Kontakt
Zahnärztekammer Nordrhein, K.d.ö.R.
Hammfelddamm 11, 41460 Neuss
Gesetzl. Vertreter: Präsident Dr. med. dent. Ralf Hausweiler
Kassenzahnärztliche Vereinigung Nordrhein, K.d.ö.R.
Lindemannstraße 34–42, 40237 Düsseldorf
Gesetzl. Vertreter: Vorstandsvorsitzender Andreas Kruschwitz
E-Mail: stopp-buerokratie@@zaek-nr..de
Telefon: 02131 53119 375
Quellen zu "Fakten zur Bürokratiebelastung"
1: Befragung der KZVen im Rahmen des Maßnahmenkatalogs zum Bürokratieabbau (2023)
2: KZBV Stimmungsbarometer (Mai 2024)
3: apobank-Studie „Niederlassen oder lieber lassen?“ (2022)